Von Sendemasten, Strahlen und Baby-Apps

Von Sendemasten, Strahlen und Baby-Apps

5G ist in aller Munde. Bringt die neue Mobilfunk-Generation eine Flut an Sendemasten? Ist Handytelefonieren gesundheitsgefährdend? Der Österreichische Städtebund hat das Forum Mobilkommunikation, die Interessenvertretung der österreichischen Mobilfunkbranche, und den Umweltmediziner der MedUni Wien Hans Peter Hutter dazu befragt.

Wie sollten Städte und Kommunen vor/bei der Errichtung von Sendemasten/Basisstationen vorgehen? Inwiefern sollte die Bevölkerung eingebunden werden?

Forum Mobil Kommunikation:
Österreichs Gemeinden sind im Rahmen der Gemeindebundvereinbarung von Anfang an involviert, wenn die Planung einer Station begonnen wird. Dabei wird transparent kommuniziert, was vor der Planung und dem Bau für die Bürgerinnen und Bürger von Interesse ist und wir treten – falls dies von den Gemeinden gewünscht wird – mit ihnen auch in einen Dialog, um Fragen zu beantworten und zu Bedenken Stellung zu nehmen.

Hans Peter Hutter, Umweltmediziner: Umweltmedizinische Erfahrungen zeigen ganz klar:
Eine Einbeziehung der Bevölkerung in einem frühen Stadium der Planung hat sich bewährt, wurde aber seitens der Netzbetreiber als Ausbauhindernis angesehen. Information und Beteiligung sind heute Grundbausteine moderner Gesellschaftspolitik. Und das sollte auch für die Errichtung von Basisstationen gelten. Dass man dies so betonen muss, spricht für sich selbst.

Wird es durch die neuen 5G-Anwendungen mehr Sendemasten geben? 
Welche Nebeneffekte wird die Installation einer großen Anzahl von Antennen für die Menschen mit sich bringen?

Forum Mobil Kommunikation:
Insgesamt betrachtet wird sich die Anzahl der Sendemasten nicht wesentlich ändern, da Österreich ja schon über ein gutes Standorte-Netz verfügt. Bestehende Stationen werden in nächster Zeit nun um- und aufgerüstet. Nur in den wenigen Gemeinden, die heute noch schlecht oder nicht versorgt sind, wird es noch vereinzelt zu Bautätigkeiten kommen. Die „Nebeneffekte“ sind die Versorgung mit moderner Telekommunikationsinfrastruktur und damit die Attraktivierung von benachteiligten Regionen.

Hans Peter Hutter: Der jetzt vergebene Frequenzbereich um 3,45 GHz wird nur wenige zusätzliche Antennen erfordern. Wenn es aber zur eigentlichen 5G-Ausrollung kommt, für die der Millimeterwellenbereich eingesetzt werden wird, müssen Abertausende neue Antennen errichtet werden.
Es wird zu ganz neuen Expositionsszenarien kommen, die man mangels vorliegender Konzepte, wie diese Technik überhaupt genutzt werden soll, gar nicht abschätzen kann. Wir vermuten, dass 5G zuerst in Betrieben eingesetzt werden wird und daher insbesondere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betroffen sein werden.

Die Internationale Krebsagentur der WHO hat hoch-frequente EMF (elektro-magnetische Felder) als wahrscheinlich krebserregend eingestuft. Wie beurteilen Sie diese Einstufung?

Forum Mobil Kommunikation: Das ist falsch! Die WHO hat EMF als „möglicherweise“ (Stufe 2B) kanzerogen eingestuft und damit klar gesagt, dass es eben NICHT wahrscheinlich ist, wegen EMF an Krebs zu erkranken. Damit ist EMF genauso „gefährlich“ wie etwa Kokosnussöl, eingelegtes Gemüse und Aloe Vera, denn die befinden sich ebenfalls in dieser Einstufung.

Hans Peter Hutter: Die Internationale Krebsagentur hat ein vierstufiges System der Einordnung von Umwelteinflüssen, das von krebserregend bis wahrscheinlich nicht krebserregend reicht. Die zweite Stufe ist noch einmal unterteilt in wahrscheinlich und möglicherweise krebserregend. Diese Bezeichnungen haben jedoch gar nichts mit diesen Begriffen, wie wir sie im Alltag verwenden, zu tun, sondern charakterisieren nur das seitens der Arbeitsgruppe beurteilte Ausmaß der Fakten, die für eine Krebserregung sprechen. Felder des Mobilfunks wurden als möglicherweise krebserregend wie z. B. Blei oder Chlordan eingestuft. Das ist eine ernste Warnung, die selbstverständlich zu Vorsorgemaßnahmen führen sollte.

Ein Großteil der Bevölkerung verwendet Mobiltelefone, kann diese Technologie einen gesundheitlichen Einfluss auf die Nutzerinnen und Nutzer haben?

Forum Mobil Kommunikation: Insgesamt 28.000 Studien sind zu diesem Thema seit der intensiven Beforschung entstanden, jährlich werden noch immer etwa 10 bis 150 neue Studien vorgestellt. In keiner ein-zigen (!) Studie konnte ein kausaler Zusammenhang zwischen Mobilfunk und einem Einfluss auf die Gesundheit gefunden werden. Nach heutigem Wissensstand kann man diese Frage mit „Nein“ beantworten. Was aber sehr wohl einen Einfluss auf das Wohlbefinden in der Bevölkerung hat, sind Fake-News und grundlose „Warnungen“ vor etwas, vor dem nicht gewarnt werden muss. Das bestätigt auch die WHO in ihrem Factsheet 296!

Hans Peter Hutter: Das EMF-Portal der RWTH Aachen, das umfassendste Register von wissenschaftlichen Untersuchungen zu elektromagnetischen Feldern, zählt mit Stichtag 24.10. 2019 insgesamt 1.642 Artikel zu biologischen und gesundheitlichen Auswirkungen des Mobilfunks. Von der Industrie wird in Broschüren und Webseiten behauptet, keine Studie würde einen kausalen Zusammenhang mit Beeinträchtigungen der Gesundheit zeigen. Das ist jedoch ein irreführender Unsinn, denn es gibt keine Studie, die fähig wäre, das zu zeigen. Eine solche Beurteilung kann nur aufgrund der Zusammenschau aller Fakten erfolgen. Diese Fakten sprechen jedenfalls für gesundheitlich relevante Auswirkungen.

Immer mehr Menschen, speziell Kinder und Jugendliche, zeigen eine psychische Abhängigkeit von Telekommunikations-Anwendungen. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Forum Mobil Kommunikation: Selbstverständlich sehen wir diese Entwicklung sehr kritisch und haben die Probleme erkannt. Es ist deshalb längstens an der Zeit, dass der vernünftige Umgang mit den sozialen Medien in den Schulen unterrichtet wird. Deshalb haben wir sehr umfangreiches, interdisziplinäres Unterrichtsmaterial erstellen lassen, das für die 6. bis 8. Schulstufe geeignet ist und regelmäßig aktualisiert wird. Es ist für jedermann unter der Internetadresse www.lehrer.at/handy herunterzuladen.

Hans Peter Hutter: Heute gibt es bereits Mobilfunk-Apps, die für Säuglinge gedacht sind. Immer mehr Kleinkinder verwenden ein eigenes Mobiltelefon. Das sind sehr bedenkliche Entwicklungen, weil die Reifung der Gehirnfunktionen Erfahrung in der realen und nicht der virtuellen, noch dazu flächenhaften Welt eines Smartphone-Bildschirms benötigt. Dazu kommt eine wachsende Anzahl Kinder und Jugendliche, die psychische Abhängigkeit vom Smartphone zeigen. Es wurde gezeigt, dass eine solche Abhängigkeit ernste soziale Folgen und weitere psychische Erkrankungen wie Depression nach sich ziehen kann.

Dieser Artikel ist original in der „Österreichischen Gemeindezeitung (ÖGZ: 12/2019 - 1/2020)“ des Österreichischen Städtebundes erschienen.
Weitere Infos finden Sie auf der Homepage: www.staedtebund.gv.at

Veröffentlicht am 10.11.2020