Interview mit Andrea von Daraja

Die junge Sozialarbeiterin Andrea Mayrhofer aus Mondsee ist bereits 10 Jahre lang, seit ihrer Studienzeit, beim Verein "Daraja - die Brücke" aktiv. Daraja ist ein ehrenamtlich arbeitender Verein für Entwicklungszusammenarbeit, der rund 80 Erwachsene und 30 Kinder, die HIV-positiv sind, in Kenia unterstützt.

Kürzlich war sie zum dritten Mal auf Projektbesuch in Kenia, und beschreibt ihre Erlebnisse, im Rückblick auf die Entwicklungen der letzten 10 Jahre, und spricht über die Sinnhaftigkeit von Hilfe zur Selbsthilfe. 

ML24: Liebe Andrea, du bist Gründungsmitglied von Daraja - wie viele Jahre engagierst dudich schon für das Projekt in Kenia?

Andrea: Ich engagiere mich seit 2007 für das Projekt und die Menschen in Kenia, dh. schon seit gut 10 Jahren.

ML24: Was war für dich der ausschlaggebende Grund für die Menschen in Emali aktiv zu werden?

Andrea: Es war schon immer mein Traum an etwas Länderübergreifendem mitzumachen, an etwas "Großem" sozusagen. Nun ist unser Projekt verglichen mit anderen Entwicklungshilfeorganisationen zwar eigentlich eh klein, aber nachdem alles von uns selbst ins Leben gerufen und ausgearbeitet wurde, war es für alle bei Daraja eine sehr große Sache.
2008 war ich selbst das erste Mal vor Ort und lernte unsere Partner und die Menschen, die wir unterstützen, persönlich kennen. Spätestens da gab es dann kein Zurück mehr!

ML24: Wie hat sich die Situation in Emali verändert? Hast du den Eindruck,dass sich die Zusammenarbeit zwischen Daraja in Österreich und Mt. Zionn Kenia bisher gelohnt hat?

Andrea: Die Situation in Emali hat sich in den letzten 10 Jahren sehr verändert! Am augenscheinlichsten sind die Modernisierungen: Da Emali die Größte Stadt in der Region ist, wurde viel gebaut und investiert - Hotels, der Bahnhof, das Zentrum wurde neu gestaltet, die Stadt an sich ist gewachsen usw. Entwicklungen, die immer auch Arbeit bringen. Trotzdem bleiben andere Probleme bestehen oder haben sich noch verschärft: Ausbleibende Regenfälle gefährden immer mehr Landwirtschaft und Überleben vieler. Daraja und Mt.Zion unterstützen schon immer die ärmste Bevölkerungsschicht. Gerade die ist es, die vom "Kuchen" der positiven Entwicklungen oft kein Stück abbekommt, von den negativen jedoch stark betroffen ist. So konnten sich im Zuge der Modernisierung der Stadt plötzlich viele Mitglieder die steigenden Mietpreise für die nun besseren Häuser nicht mehr leisten. Doch Mt.Zion bleibt am Ball und versucht die Menschen weiterhin zu erreichen und mit ihnen einen Umgang mit den neuen Herausforderungen zu finden. Ein großer Erfolg: Hinsichtlich der Aufklärung und Stigmatisierung bzgl. HIV/Aids hat sich die Lage für Betroffene sehr verbessert. Viele Gesundheitseinrichtungen haben, genauso wie unsere Partnerorganisation, viel Informationsarbeit geleistet und das merkt man mittlerweile. Also ja, meiner Meinung nach hat sich die Zusammenarbeit gelohnt! Wir haben in den vergangenen Jahren hunderte Meschen erreichen können.

ML24: Was würdest du zu den größten Errungenschaften, was zu den Rückschlägen zählen?

Andrea: Zu den größten Errungenschaften zähle ich die wirksame Bekämpfung des Stigmas von HIV-Infizierten. Das ist ein zentraler Punkt um ein selbstbestimmtes Leben in Würde führen zu können. Die Ausweitung des Projekts vom Stadtgebiet Emalis bis in die ländlichen Gebiete der Massai sind ein weiterer großer Erfolg. Wir erreichen damit mit unseren Unterstützungsangeboten Menschen, die alleine wegen der Distanzen schwer zu erreichen sind. Was aber kein Hindernis für die Ausbreitung des Virus ist. Deshalb ist Aufklärung und Unterstützung dort besonders wichtig. Ein dritter Meilenstein ist die Implementierung des Kinderprojektes im Jahr 2014. Damit werden die unterstützen Familien sehr entlastet und den Kindern der Weg in eine bessere Zukunft zumindest ein Stück weit geebnet.

Rückschläge gab und gibt es natürlich auch immer wieder. Es wurde z.B. eine Selbsthilfegruppe wieder geschlossen, ohne dass die Mitglieder merkliche Fortschritte machen konnten. Aber da trafen Erwartungen und Tatsachen nicht wirklich zusammen und so wurde die Gruppe nach einigen Fehlschlägen wieder geschlossen. So etwas ist natürlich schade, aber trotzdem werden die Mitglieder aus der Zeit im Projekt das eine oder andere mitgenommen haben, was ihnen hoffentlich etwas bringt. Zumindest Aufklärung über HIV, und damit ist eines unserer Hauptanliegen schon wieder erfüllt.

ML24: Gibt es eine persönliche Erfahrung in Kenia, an die du gerne zurück denkst?

Andrea: Eines der besten Dinge ist immer, wenn man merkt, dass man gerade nicht ganz einer Meinung ist und sich beide Seiten unsicher sind, wie man damit umgehen soll. Man will einerseits nicht unhöflich sein und weiß nicht genau ob oder wie man das in Englisch ansprechen kann. Irgendwie probiert man es dann und schlussendlich findet man wieder zusammen und einen Kompromiss. Das hat mir immer gezeigt, dass mit respektvoller Kommunikation alles angesprochen und letzlich auch gelöst werden kann. Und dass man keine Scheu haben braucht, auch unangenehme Dinge anzusprechen, trotz unterschiedlicher Kulturen, Sprachen und Herangehensweisen.

ML24: Haben sich deine Sichtweisen auf das Land und die Leute im Laufe der Zeit verändert?

Andrea: Naja, langsam versteht man einige Dinge immer mehr. Aber was gleich geblieben ist, ist dass "Ich weiß, dass ich nichts weiß". Es gibt so viele Unterschiede zwischen Kenia und Österreich und auch innerhalb der Regionen Kenias, dass es immer wieder eine Menge zu entdecken gibt und mir vieles einfach auch ein Rätsel bleibt.

ML24: Inwiefern hat dich die Entwicklungszusammenarbeit mit Kenia insgesamt geprägt?

Andrea: Ich denke, dass mir gerade bei den Besuchen in Kenia immer wieder klar geworden ist, dass wir alle nur Menschen sind und jeder sein Leben zu bewältigen versucht. Und dass sich das Leben der Menschen dort nicht von heute auf morgen um 180 Grad dreht, nur weil ein paar Weiße hier ein Projekt gestartet haben. Projekte von Weißen in Afrika gibt es ja schon seit langem in allen Formen und Farben, aber wir sind immer nur ein Teil des Lebens oder Alltags der Menschen, die wir unterstützen. Und das gilt es zu respektieren. Jede/r darf und soll sein Leben so gestalten, wie er/sie es will.

ML24: Was bedeutet Entwicklungszusammenarbeit für dich?

Andrea: Hilfe zur Selbsthilfe und Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Global gesehen wären jedoch faire internationale Handelsbeziehungen die bessere Entwicklungshilfe...

ML24: Was wünschst du dir für die Menschen in Kenia? Was muss noch getan werden?

Andrea: Ich wünsche den Menschen in Kenia weniger Politikverdrossenheit und dass sie es schaffen, ihre Politiker mehr in die Pflicht und in die Verantwortung zu nehmen. Ich denke nur so können zeitgemäße Lösungen für gesellschaftliche Probleme gefunden werden. Dasselbe wünsche ich uns in Österreich auch. ;)

Vielen Dank liebe Andrea für das Interview!

Veröffentlicht am 23.05.2018