„Polizei und Justiz agieren nicht fehlerlos. Das muss man wissen.“

„Polizei und Justiz agieren nicht fehlerlos. Das muss man wissen.“

Seit Jahren engagiert sich unser ML24-Mitarbeiter Norbert Blaichinger ehrenamtlich in der Strafgefangenenhilfe. Dabei hat er sich die schweren Jungs ausgesucht: Mörder und Insassen im Maßnahmenvollzug für geistig abnorme Rechtsbrecher. Anlass dafür waren seine mehrjährigen Recherchen im Kriminal- und Justizbereich. Wir haben nachgefragt.

ML24: Lieber Norbert, dein Buch „Kaum zu glauben“ wurde ja sehr gut verkauft. Was dürften dafür die Gründe gewesen sein?

Blaichinger: Das ist für mich schwer zu sagen. In Österreich waren es wohl die Fälle, die ich aufgegriffen habe. Warum das Buch in Deutschland so gut angekommen ist, weiß ich nicht. Wahrscheinlich haben die Leute einfach Interesse an wahren Kriminalgeschichten. Ein weiterer Umstand war möglicherweise, dass ich ja die Justiz ziemlich stark kritisiert habe. Logisch begründet und durchaus heftig.

ML24: Du hast dich nach den Recherchen zu diesem Buch entschlossen, dich in der Strafgefangenenhilfe ehrenamtlich zu engagieren. Warum?

Blaichinger: Das stimmt so nicht ganz. Ich habe bereits zuvor festgestellt , dass Polizei und Justiz auch nicht fehlerlos agieren. Ein Beispiel war etwa der Fall Martina Posch. Da habe ich 2018 in der ORF-Sendung Thema aufgedeckt, dass die Polizei bei den Ermittlungen mit der Nichtüberprüfung eines Tagebucheintrags am Kalender der Martina einen wichtigen Ermittlungsfehler gemacht hat. Und das zweite: Ich habe bei der Justiz einfach gesehen, dass Recht und Gerechtigkeit zwei verschiedene Dinge sind und man bei Menschen, die – auch schwere – Fehltritte gemacht haben, immer nur das Verhalten verurteilen kann, nie aber den Menschen insgesamt. Damals hat mein Engagement begonnen.

ML24: Wie kann man deine Arbeit kurz beschreiben?

Blaichinger: Sie bedeutet, dass ich die Gefangenen regelmäßig besuche, ihnen helfe bei Eingaben, bei Kontakten nach außen und sie finanziell in bescheidenem Rahmen unterstütze. Sie sollen insgesamt das Gefühl haben, jemanden draußen zu haben, der aber ihr Verhalten nicht entschuldigt.

ML24: Keine Angst?

Blaichinger: Angst kanalisiert sich sehr oft in Panik, und wer mich kennt, der weiß, dass das deshalb nicht zu meinem Charakter gehört. Das bessere Wort ist Vorsicht, und die ist immer angebracht.

ML24: Arbeitest du mit einer Organisation zusammen?

Blaichinger: Ich war beruflich immer ein einsamer Wolf. Also arbeite ich allein, auch heute noch.

ML24: Wie viele Gefangene betreust du derzeit? Und sind das wirklich die sprichwörtlichen schweren Jungs?

kaumzuglaubenBlaichinger: Zwei in Garsten, ein Mörder mit 20 Jahren und ein inhaftierter Lebenslänglicher in der Abteilung für geistig abnorme Rechtsbrecher , zwei Mörder in anderen Gefängnissen und eine 2x lebenslang Inhaftierte in Ocala, Florida. So eine Strafe gibt es nur in den USA. Ich arbeite daran, sie irgendwann herauszubekommen. Sie ist 37 Jahre alt und sitzt schon 15 Jahre.

ML24: Danke für das Gespräch!

Norbert Blaichinger schrieb das Buch „Kaum zu glauben“ (Innsalz 2019) und hat dafür bei mehreren Lesungen viel Lob bekommen. Erhältlich ist „Kaum zu glauben“ bei Trafik Schwaighofer (Mondsee), Trafik Lettner und Postpartner Eppel (Zell am Moos), beim Verlag Aumayer (Munderfing), im Buchhandel und bei Amazon.

Veröffentlicht am 23.09.2020