
„Ja, ich werde oft um Sterbehilfe gebeten. Aber das geht einfach nicht.“
Norbert Blaichinger veröffentlichte 2019 ein ganz besonderes Buch. „Über Sterben und Tod“ geht Themen in Zusammenhang mit der letzten Lebensphase des Menschen nach. Das Interview (hier gekürzt) mit dem Leiter der Palliativstation des Salzkammergut-Klinikums Vöcklabruck, Dr. Franz Reiner, führte Norbert Blaichinger Ende 2018.
Blaichinger: Herr Oberarzt, was bedeuten Sterben und Tod aus medizinischer Sicht?
Dr. Reiner: Der Tod ist das Ende des Lebens, das Sterben ist der Prozess, der zum Tod führt. Unser Körper ist so programmiert, dass er immer am Leben bleiben will. Wenn aber ein oder mehrere Organe nicht mehr funktionieren, so dass der Körper in seiner Gesamtheit nicht mehr funktioniert, stirbt man. Tod ist also die Folge des Versagens des ganzen Körpers in seinem Zusammenspiel als Einheit. Ich sage immer: Wir sterben nicht als gesunde Menschen.
Blaichinger: Wann konkret tritt der Tod ein? Stimmt es, dass sich manche Zellen sogar nach dem Tod noch erneuern?
Dr. Reiner: Das ist richtig. Manche Zellen können sich noch regenerieren. Das ändert aber nichts am Tod. Und tot ist man, wenn Herz und Kreislauf stillstehen.
Blaichinger: Kann der Mensch nach seinem Tod noch in irgendeiner Form seine Umwelt wahrnehmen, etwa menschliche Gespräche?
Dr. Reiner: Das ist rein spekulativ. Aber dass es so ein Wahrnehmen geben kann, darf natürlich als Wirklichkeit angenommen werden.
Blaichinger: Gilt der Hirntod auch schon als „Tod“?
Dr. Reiner: Als Hirntod wird das irreversible Ende aller Hirnfunktionen bei vorhandener Kreislaufaktivität und künstlich aufrechterhaltener Atmung aufgrund von weiträumig abgestorbenen Nervenzellen verstanden. In diesem Fall stirbt der Mensch, wenn man die künstliche Beatmung abschaltet. Wenn der Hirnschaden so groß ist, dass kein Bewusstsein möglich ist, aber der Patient doch spontan atmet, spricht man von einem Pflegefall.
Blaichinger: Kann man aus dem Wachkoma nicht auch noch nach ein paar Jahren noch erwachen?
Dr. Reiner: Berichte gibt es. Ich kann nur für mich sprechen: Ich kenne keinen derartigen Fall.
Blaichinger: Was sagt ein Mediziner zu Todesnähe-Erlebnissen?
Dr. Reiner: Für mich ist es nachvollziehbar, dass Menschen so etwas erleben. Auch in meiner Vorstellung ist das denkbar. Ich kenne auch aus meiner medizinischen Praxis solche Berichte von Patienten. Allerdings: Ob solche Berichte auf einem Blick nach „drüben“ beruhen, ist rein spekulativ und hängt davon ab, wie man das Erlebte interpretiert.
Blaichinger: Man sagt immer: Die Hoffnung stirbt zuletzt! Machen Sie diese Erfahrung auch in der Palliativstation?
Dr. Reiner: Ich würde sagen, dass mehr als die Hälfte unserer Patienten so lange um ihr Leben kämpft, bis sie einfach zu müde zum Kämpfen sind. Und junge Menschen kämpfen mehr als ältere. Aber der Durchschnitt unserer Patienten liegt bei 70 Jahren. Da sind die Jungen die Ausnahme.
Blaichinger: Werden Sie von Menschen auch um aktive Sterbehilfe gebeten?
Dr. Reiner: Ja, ich werde oft um Sterbehilfe gebeten. Sie bitten um eine Spritze, am besten in der Nacht, damit sie es nicht merken.
Blaichinger: Wie reagieren Sie?
Dr. Reiner: Ich sage den Patienten, dass ich das nicht darf. Das Gesetz hilft uns hier auch mit einer klaren Abgrenzung. Aktive Sterbehilfe ist in Österreich verboten. Aber ich sage Ihnen auch, dass ich mit Ihnen gern den Alternativweg gehe. Dazu gehört auch, dass ich im Bedarfsfall die Medikation zur Schmerzlinderung hochschraube. Aber getötet wird dadurch niemand.
Blaichinger: Kann man aus medizinischer Sicht gewährleisten, dass ein Mensch ohne Schmerzen stirbt?
Dr. Reiner: Nein, das kann man nicht. Schmerzen sind ja nicht nur körperliche, sondern können auch Sorgen ausdrücken und damit psychischer Art sein. Ich finde es auch einen Fehler in unserer Gesellschaft, dass man immer das Recht auf Schmerzfreiheit proklamiert, was ja nicht möglich ist. Es gibt nur das Recht auf bestmögliche Therapie.
Blaichinger: Noch eine persönliche Frage, Herr Oberarzt: Glauben Sie an ein Weiterleben nach dem Tod, in welcher Form auch immer?Dr. Reiner: Ja, ich glaube an einen liebenden Gott. Da bietet mir die christliche Theologie der Evangelischen Kirche auch eine Idee davon. Ich glaube, dass sich alles einmal in Liebe und im Guten auflösen wird.
Blaichinger: Danke für das Gespräch!
Norbert Blaichinger
Dieses Interview ist gekürzt und stammt aus dem Buch von Norbert Blaichinger „Über Sterben und Tod“ (Innsalz 2019) und ist erhältlich bei Trafik Schwaighofer (Mondsee), Trafik Lettner und Postpartner Eppel (beide Zell am Moos), beim Verlag Aumayer (Munderfing), im Buchhandel und bei AMAZON.